aus der PM A.Cavazzini

Europaparlament beschließt Verschärfung des EU-Lieferkettengesetzes

Pressemitteilung von Anna Cavazzini (MdEP) vom 1. 06. 2023 aus Brüssel:

Gerade hat das Europaparlament seine Position zum europäischen Lieferkettengesetz abgestimmt. Der Gesetzentwurf entspricht fast dem Kompromiss, der im federführenden Rechtsausschuss von fast allen Fraktionen ausgehandelt wurde, obwohl Teile der konservativen Fraktion, und hier vor allem der deutschen CDU/CSU-Delegation, versucht hatten, den Text in letzter Minute aufzuweichen. Nur der Artikel 26 wurde gelöscht.

Anna Cavazzini, Grüne Verhandlerin im Handelsausschuss, kommentiert die Abstimmung:

„Das EU-Lieferkettengesetz ist wegweisend und wird Umwelt- und Sozialdumping in unseren Lieferketten endlich einen Riegel vorschieben. Damit übernimmt die EU endlich Verantwortung für die globalen Auswirkungen unseres Handelns. Verbraucherinnen und Verbraucher können in Zukunft darauf vertrauen, dass in ihrem Einkaufskorb keine Schokolade oder Kaffee landen, die Mensch oder Umwelt ausbeuten. Trotz des immensen Drucks von Industrielobby und gegen den Widerstand vieler Konservativer hat das Parlament den Kommissionsvorschlag in vielen Bereichen nachschärfen können.  So begrüße ich, dass das Europaparlament Unternehmen schon ab 250 Mitarbeitenden in den Geltungsbereich aufnehmen will, sowie die gesamte Wertschöpfungskette einschließen möchte. So entsteht ein einheitliches Spielfeld, auf dem für alle faire Regeln gelten. Angesichts der Klimakrise müssen die Unternehmen auch für die Klimafolgen ihres Handels in die Verantwortung genommen werden. Ich habe mich deshalb nachdrücklich dafür eingesetzt, die Umwelt- und Klimapflichten in dem Gesetz zu stärken. Ich erwarte schwierige Verhandlungen mit dem Rat, dessen Position viel weniger ambitioniert ist“

Hintergrund: Das deutsche Lieferkettengesetz gilt bereits seit Anfang dieses Jahres. Das EU-Lieferkettengesetz soll nun gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen auf dem EU-Binnenmarkt schaffen. Dieses Gesetz war vom Europaparlament selber sowie von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, sowie Unternehmen schon lange gefordert worden. Die Kommission hatte am 23. Februar 2022 ihren Vorschlag über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vorgelegt. Darin werden verbindliche Vorschriften vorgeschlagen, die Unternehmen dazu verpflichten, Risiken für Menschenrechte, Gesundheit und Umwelt, die sich aus den Tätigkeiten in ihrer gesamten Wertschöpfungskette ergeben, zu ermitteln und zu beseitigen.

Die Parlamentsposition ist ein Kompromiss, der eine klare Verbesserung des Kommissionsvorschlags darstellt. Der Gesetzesentwurf wird nun im Trilog mit Rat und Kommission verhandelt, da der Rat bereits im Dezember seine Position bestimmt hatte.

Hier sind die Details der Parlamentsposition:

  1. Geltungsbereich: 
  • Unternehmensgröße
    • Alle Großunternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Jahresumsatz innerhalb der EU. Die Kommission und der Rat hatten um Gegenzug vorgeschlagen, dass das Gesetz nur für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und 150 Millionen Euro Jahresumsatz gelten solle. Nur in sogenannten Hochrisikosektoren wie dem Textilsektor sollten laut Kommissionsvorschlag auch Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden vereinfachte Sorgfaltspflichtsprüfungen durchführen müssen.
    • Laut Parlamentsvorschlag gilt das Gesetz auch für Unternehmen, die den allgemeinen Schwellenwert nicht erreichen, aber die Teil einer Muttergesellschaft eines Konzerns mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz sind.
    • Allerdings wurde, wie in Deutschland, eine verzögerte Anwendung für Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden und Umsatz bestimmt. Die Kommission hatte so eine verzögerte Anwendung nicht vorgesehen, aber auch der Rat hatte den Gesetzesentwurf so abgeändert. So muss die Richtlinie laut Parlamentsvorschlag durch Unternehmen nach dem Inkrafttreten erst nach folgender Zeit angewandt werden:
      • 3 Jahre für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz
      • 4 Jahre für Unternehmen und Konzerne mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz
      • 4 Jahre + 1 Jahr Opt-out für Unternehmen und Konzerne mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Jahresumsatz
    • Kleine und mittlere Unternehmen sind von der obligatorischen Anwendung ausgenommen, sollten aber zumindest in der Lage sein, die Richtlinie freiwillig anzuwenden, und zu diesem Zweck sind unterstützende Maßnahmen zu ergreifen.
    • Zweigniederlassungen werden als Teil eines Unternehmens betrachtet und müssen daher bei der Berechnung der Schwellenwerte berücksichtigt werden – so wird vermieden, dass sie als Tochtergesellschaften betrachtet und daher nicht gezählt werden
    • Nach der Senkung des allgemeinen Schwellenwerts fallen keine spezifischen Schwellenwerte für Unternehmen aus Risikosektoren mehr an. Stattdessen muss die Kommission sektorspezifische Leitlinien für diese Sektoren entwickeln, insbesondere für den Textilsektor,  den Bergbau und die Gewinnung von Rohstoffen, den Agrarsektor, den Energiesektor (vom Parlament hinzugefügt), den Bausektor (vom Parlament hinzugefügt)  und den Finanzsektor (vom Parlament hinzugefügt) 
  • Nicht alle Finanzunternehmen fallen in den Anwendungsbereich, und es gibt immer noch eine gewisse Vorzugsbehandlung für den Sektor, aber diese geht nicht mehr so weit wie im Vorschlag der Kommission, wo die Verpflichtungen auf den ersten Teil der Wertschöpfungskette beschränkt waren.
  1. Definition der Risiken und negativen Auswirkungen: 
  • Das Parlament hat in seinem Entwurfe die Definition der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte verbessert indem es einen Verweis auf beispielsweise die Istanbul-Konvention, aber auch die Bedeutung eines existenzsichernden Einkommens bzw. von existenzsichernden Löhne und eines angemessenen Lebensstandards hinzugefügt hat.
  • Auch die Definition der negativen Umweltauswirkungen konnte verbessert und so die Lücken in der Architektur der multilateralen Umweltabkommen geschlossen werden. Auch wurden weitere internationale Abkommen, insbesondere das Pariser Abkommen und das Århus-Übereinkommen in den entsprechenden Annex aufgenommen.
  1. Die Definition der Wertschöpfungskette: Nach Parlamentswunsch würde die Richtlinie  die gesamte Wertschöpfungskette, inklusive aller vor- und nachgelagerten Aktivitäten der Produktion, beinhalten. Nur die Nutzung durch die Verbraucher*innen wären ausgeschlossen.
  1. Binnenmarkt-Klausel: Hier sieht der Gesetzentwurf laut Parlament eine neue Klausel vor, die eine Absichtserklärung für die Kommission und die Mitgliedstaaten darstellt, sich zu koordinieren, um auf eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten hinzuarbeiten und eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu vermeiden – und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Aus unserer Sicht ist dies eine gute Lösung.
  1. Erhöhte SorgfaltspflichtDas Parlament fordert, dass Unternehmen, die Zulieferer in bewaffneten Konflikten oder fragilen Situationen nach einem Konflikt, in besetzten und/oder annektierten Gebieten sowie in Gebieten mit schwacher oder nicht vorhandener Staatlichkeit, sogenannten “failed States”, haben, eine zusätzliche Konfliktanalyse integrieren. Diesen Punkt hatten die Grünen mit in die Verhandlung gebracht.
  1. Geeignete Maßnahmen
  • Unternehmen müssen Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, die Sorgfaltspflichten zu erfüllen und nachteilige Auswirkungen wirksam zu beheben.
  • Die Liste der geeigneten Maßnahmen in Artikel 7 und 8 wurde von einer geschlossenen in eine offene Liste umgewandelt, um Unternehmen nicht in ihren Bemühungen, die Situation zu verbessern, einzuschränken.
  • Es besteht die Verpflichtung zur Beseitigung negativer Auswirkungen auf die Umwelt oder Menschenrechte, die ein Unternehmen bereits verursacht hat, zu denen es beigetragen hat oder mit denen es in Verbindung steht.
  • Außerdem sieht die Parlamentsposition neu vor, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und -strategien, einschließlich der Einkaufspraktiken, anpassen müssen.
  • Auch neu hinzugefügt wurde, dass Unternehmen ihre Geschäftspartner und Lieferanten bei der Beseitigung der negativen Auswirkungen unterstützen sollen. Damit soll sichergestellt werden, dass die großen Unternehmen kleinere bei der Umsetzung unterstützen müssen.
  • Vertragliche Bestimmungen mit Geschäftspartnern über die Sorgfaltspflicht müssen angemessen, nicht diskriminierend und fair sein und dürfen die Verantwortung und Haftung nicht übertragen. Die Kommission soll hier Mustervertragsklauseln entwickeln.
  1. Priorisierung: Falls erforderlich, können die Unternehmen bei der Bewältigung verschiedener potenzieller und tatsächlicher negativer Auswirkungen Prioritäten setzen, indem sie eine Priorisierungsstrategie entwickeln, die letztendlich zur Bewältigung aller negativen Auswirkungen führen sollte. Dies muss im Einklang mit dem risikobasierten Ansatz der OECD und auf der Grundlage objektiver Kriterien geschehen. Diese Festlegung von Prioritäten ist allerdings lediglich ein Instrument zur Unterstützung des Due-Diligence-Prozesses und entbindet ein Unternehmen daher nicht von seinen Verpflichtungen oder seiner zivilrechtlichen Haftung.
  1. Einbeziehung von Interessengruppen: Das EU-Parlament fordert einen völlig neuen Artikel über sinnvolles Engagement mit Stakeholderen während der Sorgfaltspflichtsprüfung hinzufügen. Hierdurch soll die Bereitstellung von Informationen für die betroffenen Akteure, deren Konsultation und Inklusion von Unternehmen in dem ganzen Prozess verbessert werden. Auch sollen betroffene Stakeholder vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen, u. a. durch Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit und Anonymität, geschützt werden.
  1. Industrie- oder Multi-Stakeholder-Initiative: Diese können als Hilfsmittel zur Unterstützung der Sorgfaltspflicht des Unternehmens verwendet werden, sind aber kein Ersatz für die eigene Sorgfaltspflicht-Prüfung und entbinden nicht von der zivilrechtlichen Haftung.
  1. Überprüfung durch Dritte / Wirtschaftsprüfer: Hier fordert das Parlament, dass Mindeststandards für Prüfer/Drittparteien durch einen delegierten Rechtsakt geschaffen werden. Aber es steht grundsätzlich fest, dass die Inanspruchnahme von Wirtschaftsprüfern das Unternehmen nicht von seiner zivilrechtlichen Haftung entbindet.
  1. Zivilrechtliche Haftung und Zugang zum Recht
  • Unternehmen sollen für die Verursachung oder Mitwirkung an negativen Auswirkungen haftbar gemacht werden.
  • Laut Kompromiss im Parlament wurde hier der Zugang zum Recht für die Betroffenen solcher negativen Auswirkungen durch folgende Maßnahmen verbessert:
    • Verjährungsfristen: mindestens 10 Jahre + Angaben darüber, wann mit der Zählung begonnen wird
    • Eine Begrenzung der Verfahrenskosten
    • Einem möglichen Zugang zu Beweismitteln im Besitz des Unternehmens, wenn von den Gerichten angeordnet
    • Eine mögliche Vertretung von betroffenen Opfer durch beauftragte Organisationen, Gewerkschaften, Ombudsleute usw.
  • Keine Beschränkung der Haftung von Unternehmen im Rahmen der EU- oder nationalen Gesetzgebung, einschließlich der Vorschriften über die gesamtschuldnerische Haftung
  • Die Muttergesellschaft kann für nachteilige Auswirkungen einer Tochtergesellschaft haftbar gemacht werden, wenn diese Tochtergesellschaft aufgelöst wurde und keinen anderen Rechtsnachfolger hat.
  1. Zeit für die Übertragung der Verordnung ins nationale Gesetz: Mitgliedsländer müssen die Verordnung innerhalb von 2 Jahren nach dem Inkrafttreten umsetzen. 

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