Sprecherin von GewerkschaftsGrün kritisiert Neuregelungen bei Leiharbeit und Werkverträgen

Die Bundesregierung hat lange um den Gesetzesentwurf gestritten. Es gab zahlreiche Referentenentwürfe, die in die Abstimmung zwischen den Ministerien gingen und ziemlich schnell wieder zurückgezogen wurden, da sich die Union immer wieder dagegen Vorbehalte hatte. Im Oktober 2016 Jetzt wurde das Gesetz extrem schnell im Bundestag verabschiedet.

Das Gesetz ist aus grüner Sicht nichts anderes als Etikettenschwindel, denn es wird die Situation der Leiharbeitskräfte nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Deshalb haben die Grünen im Bundestag das Gesetz abgelehnt. Beate Müller-Gemmeke, eine der SprecherInnen von GewerkschaftsGrün, hat die ablehnende Haltung der Grünen in einer Rede im Deutschen Bundestag am 21.10.2016 begründet.

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Bis zur ersten Lesung hat es ja extrem lange gedauert, und jetzt muss wieder alles ganz schnell gehen. Am Montag erst war die Anhörung der Sachverständigen – da gab es viel Kritik, und zwar von allen Seiten; jetzt gibt es auch noch Kritik vom Wissenschaftlichen Dienst -, und doch landete der Gesetzentwurf in dieser Woche überraschend im Ausschuss, und schon heute finden die zweite und die dritte Lesung statt. Was soll eigentlich die Eile? Wenn so viel Kritik kommt, dann sollten Sie, die Regierungsfraktionen, einfach einmal innehalten und die Kritikpunkte ernsthaft prüfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

An einer Stelle haben Sie immerhin mit einem Änderungsantrag auf die Kritik reagiert. Dabei geht es um den Missbrauch von Werkverträgen. Das vorgesehene Widerspruchsrecht für Arbeitgeber in der ursprünglichen Form wäre für die Beschäftigten von Werkvertragsfirmen extrem fatal gewesen. So wäre ein neuer Anreiz für Betriebe entstanden, die bewusst verdeckte Leiharbeit einsetzen. So wäre auch ein neuer Schutz der Unternehmen vor Rechtsfolgen entstanden. Deshalb gab es hierzu richtig heftige Kritik. Auch meine Kleine Anfrage hat gezeigt, dass die Rechtsauffassung der Bundesregierung sich nicht wirklich mit dem deckt, was tatsächlich im Gesetzentwurf steht. Mit einem Änderungsantrag wurde jetzt diese strittige Frage eindeutig geklärt: Bei Scheinwerkverträgen entsteht trotz Verzichtserklärung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher. Das ist gut so. Das haben wir auch so gefordert. Deshalb war der Änderungsantrag richtig und wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So, das war das Lob. Jetzt habe ich nur noch Kritik. Im Gesetz fehlen weiterhin eindeutige Kriterien, um Leiharbeit und Werkverträge abzugrenzen, und zwar im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Wir fordern ein Zustimmungsverweigerungsrecht für Betriebsräte. Wir wollen ein Verbandsklagerecht. Es wäre auch ganz wichtig, dass eine Beweislastumkehr eingeführt wird; die stand schon einmal im Gesetzentwurf, ist dann aber wieder herausverhandelt worden. – Das alles sind wirksame Maßnahmen, um den Missbrauch von Werkverträgen tatsächlich zu verhindern; aber nichts davon steht im Gesetzentwurf. Daher wird er seiner eigenen Zielsetzung nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wirklich dringend notwendig ist eine echte Reform der Leiharbeit. Das haben die Fakten in der Stellungnahme des WSI noch einmal deutlich gemacht: Durch Leiharbeit entsteht „ein erhöhtes Armutsrisiko, während des Erwerbslebens, aber auch im Rentenalter“. Leiharbeitskräfte haben deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen, sie sind häufiger krank, und es gibt auch mehr Arbeitsunfälle. Sie werden schneller arbeitslos. Der Brückeneffekt hingegen ist mit 7 bis 14 Prozent gering.

Die Leiharbeitskräfte fühlen sich zu Recht benachteiligt und ähnlich wie die Arbeitslosen nur schlecht in die Gesellschaft integriert. Der Handlungsbedarf ist also groß. Eine Mogelpackung wie der vorliegende Gesetzentwurf wird aber daran wenig daran ändern. Das kritisieren wir scharf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Ministerin, Sie versprechen Equal Pay; doch gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es frühestens nach neun Monaten. Das war übrigens immer die Position der FDP. Es ist bekannt, dass drei Viertel der Leiharbeitsverhältnisse höchstens neun Monate dauern. Zudem sind auch Rotationslösungen möglich. Das hat der Wissenschaftliche Dienst auch bestätigt.

Der Gesetzentwurf ist ein reiner Etikettenschwindel. Denn von diesem Equal Pay wird kaum jemand profitieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Ministerin, Sie versprechen auch, dass die Betriebe zukünftig Leiharbeit nur vorübergehend, also zeitlich begrenzt, bei Auftragsspitzen einsetzen können. Die Höchstüberlassungsdauer ist aber nicht an den Arbeitsplatz, sondern an die Leiharbeitskraft gebunden. Das kritisiert auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Ich zitiere:

Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzentwurf möglich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens nach 18 Monaten ausgetauscht werden. … Insoweit sind ähnliche „Rotationslösungen“ wie beim Equal-Pay-Anspruch denkbar …

Zitatende. – Auch die Höchstüberlassungsdauer geht also an der Zielsetzung vorbei. Leiharbeit ist für die Betriebe zukünftig nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft möglich. So wird der Missbrauch nicht verhindert, sondern gesetzlich legitimiert, und das geht gar nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte einen weiteren Aspekt nochmals ansprechen; denn hier hat mich besonders die Begründung geärgert. Auch nicht tariflich gebundene Betriebe können durch Bezugnahme von Equal Pay abweichen und so von den Tarifverträgen profitieren. Wir haben in unser Kleinen Anfrage nachgefragt und die Begründung zur Antwort bekommen, dass so Tarifverträge flächendeckender angewendet werden. Ich weiß gar nicht, ob ich diese Antwort als unwissend, dreist oder auch zynisch bezeichnen soll. So werden gerade nicht die Sozialpartner gestärkt und schon gar nicht die Leiharbeitskräfte. Denn bei der Leiharbeit gilt doch per Gesetz der Tarifvorrang. Ohne Bezugnahme müssten sich die Leiharbeitsfirmen organisieren und auch Tarifverträge abschließen. Sonst würde zum Vorteil der Leiharbeitskräfte Equal Pay ab dem ersten Tag gelten. Die geplante Regelung und diese Begründung sind unsäglich und nicht akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, ich sage es immer wieder: Wir Grünen haben für die Leiharbeit eine einfache und zugleich effektive Lösung. Leiharbeit muss sich für die Unternehmen lohnen – das ist klar -, aber sie muss sich auch für die Leiharbeitskräfte auszahlen. Deshalb fordern wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent. Über den Preis macht Leiharbeit dann betriebswirtschaftlich auch nur vorübergehend Sinn, und zwar ohne bürokratische Höchstüberlassungsdauer. Diese Regelungen sind eindeutig, zielführend und vor allem gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf verspricht viel, aber Anspruch und Wirklichkeit gehen weit auseinander. Professor Sell hat die Kritik in seiner Stellungnahme gut auf den Punkt gebracht. Ich zitiere nochmals:

Arbeitgeber können damit Aufgaben und Arbeitsbereiche dauerhaft von niedrig entlohnten Leiharbeitern bearbeiten lassen und die Risiken des flexiblen Arbeitsmarktes tragen allein die Beschäftigten, nicht die Arbeitgeber.

Zitatende. – Damit hat er Recht.

An dieser Stelle ist der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition besonders klein. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem die Interessen der Wirtschaft und eben nicht die Menschen. Das Gesetz wird die Situation der Leiharbeitskräfte nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

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