Wer arbeitet, soll von seiner Arbeit auch leben können. Das fordert die Sprecherin von GewerkschaftsGrün in einem Debattenbeitrag zum Grundsatzprogramm, an dem Bündnis 90/Die Grünen momentan arbeiten. Diese Forderung ist wichtig, weil gerade bundesweit zu Recht diskutiert wird, wie Hartz IV überwunden werden kann. Aber in dieser Debatte geht es um mehr. Wir dürfen nicht vergessen, dass es viel zu viele Menschen gibt, die eigentlich gar kein soziales Netz bräuchten, wenn sie nur genug verdienen würden.
Hartz IV ist out. Denn diese Form der sanktionierenden Grundsicherung stigmatisiert und schützt die Menschen nicht vor Armut. Bundesweit wird inzwischen diskutiert, wie Hartz IV überwunden werden und wie eine neue Garantiesicherung aussehen kann. Doch diese Debatte darf nicht aus den Augen verlieren, dass es nicht nur um eine menschenwürdige soziale Absicherung geht. Es geht vor allem auch um höhere Löhne. Denn heutzutage gibt es viel zu viele Menschen, die kein soziales Netz bräuchten, wenn sie nur genug verdienen würden. Sie werden durch Niedriglöhne dazu gezwungen, Hartz IV zu beantragen. Und das darf nicht sein.
Wer arbeitet, soll von seiner Arbeit auch leben können. Heute gibt es jedoch bei uns weitaus mehr erwerbstätige Arme als arbeitslose Arme. Ein Drittel aller erwachsenen armen Menschen geht einer Erwerbstätigkeit nach – werden die Rentnerinnen und Rentner herausgerechnet, dann ist es sogar die Mehrheit. 1,1 Millionen Menschen sind das, die arbeiten und ihr Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, weil der Lohn zum Leben nicht reicht.
Hier läuft etwas ganz gehörig schief. Denn eigentlich sollte ein soziales Netz nicht diejenigen auffangen müssen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Doch inzwischen sorgt längst nicht mehr jede Arbeit dafür, dass die Menschen ihr Leben mit ihr bestreiten können. Mehr als 20 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Sie haben einen Minijob, sind nur befristet beschäftigt, arbeiten auf Abruf, als Leiharbeitskraft oder räumen per Werkvertrag die Regale in einem Supermarkt ein. Um diese prekäre Beschäftigung zurückzudrängen, brauchen wir endlich neue soziale Leitplanken. Und für gerechte Löhne brauchen wir vor allem eine starke Tarifpartnerschaft.
Mindestlohn muss deutlich steigen
Die grundsätzliche politische Antwort auf niedrige Löhne ist heute der gesetzliche Mindestlohn. Er ist per Definition der niedrigste gesetzlich zulässige Lohn. Diese Lohnuntergrenze stabilisiert gleichzeitig unser Tarifvertragssystem. Denn tarifliche Löhne im unteren Bereich steigen durch den Mindestlohn schneller und stärker. Doch der Mindestlohn ist in unserem Land auf niedrigem Niveau gestartet, und auch die heutigen 9,19 Euro pro Stunde sind wenig Geld. Daher muss der Mindestlohn deutlich erhöht werden. Zuständig dafür soll auch in Zukunft die Mindestlohnkommission bleiben. Denn sie stellt sicher, dass der Mindestlohn nicht zum Spielball wechselnder politischer Mehrheiten wird. Die Kommission muss allerdings unbedingt gestärkt werden. Zentral ist dabei, dass sich die Erhöhung des Mindestlohns nicht mehr nur an der Tarifentwicklung orientieren darf. Unser Ziel ist es: Künftig muss der Mindestlohn vor Armut schützen. Und an diesem Ziel soll sich die Mindestlohnkommission orientieren.
Faire Löhne durch höhere Tarifbindung
Wenn die Tarifautonomie gut funktioniert, dann erhalten die Beschäftigten faire Löhne. Die Tarifbindung der Unternehmen hat in den letzten Jahren jedoch massiv abgenommen. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist nach Angaben des IAB der Anteil der Unternehmen, die nach Tarif zahlen, von 60 Prozent auf mittlerweile 25 Prozent gesunken. Der Anteil der tarifgebundenen Beschäftigten fiel gleichzeitig von 82 auf 57 Prozent. Vor allem diese sinkende Tarifbindung führt nach einer Analyse der Bertelsmann Stiftung dazu, dass die Schere bei den Einkommen in Deutschland immer weiter auseinander geht. Denn in tarifgebundenen Betrieben sind die Löhne deutlich höher als in Betrieben, in denen kein Tarifvertrag gilt.
Tarifverträge sind daher das Rückgrat der Lohnentwicklung. Sie sorgen für höhere Löhne und verhindern, dass Beschäftigtengruppen bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen abgehängt werden. Um Tarife jedoch in der Breite zu ermöglichen, muss das Tarifvertragssystem politisch gestützt werden. Notwendig sind zum Beispiel gesetzliche Maßnahmen, die es erleichtern, dass branchenspezifische Mindestlohntarifverträge und Tarifverträge insgesamt allgemein verbindlich erklärt werden können und dann für alle Betriebe einer Branche gelten. Das stärkt das Tarifvertragssystem und die Sozialpartnerschaft und erhöht die Chancen für eine bessere Lohndynamik.
Faire Löhne durch eine starke Mitbestimmung
Um faire Einkommen zu erreichen, brauchen wir außerdem eine starke Mitbestimmung in allen Branchen. Betriebsräte können zwar keinen direkten Einfluss auf die tarifliche Lohngestaltung nehmen. Ihre indirekten Einwirkungsmöglichkeiten sind jedoch groß. So gibt es beispielsweise weitaus mehr Lohngleichheit in Betrieben mit Betriebsräten. Und auch die Lohnspreizung fällt in diesen Betrieben geringer aus, da Betriebsräte ihre Mitspracherechte bei der Eingruppierung von Tätigkeiten wahrnehmen. Gleichzeitig haben die Interessenvertreter_innen auch Gestaltungsmöglichkeiten bei der Weiterbildung, bei Sonderzahlungen und der Akkordentlohnung. In mitbestimmten Betrieben ist generell das Lohnniveau höher als in Betrieben ohne Betriebsrat. Davon profitieren insbesondere Frauen und Geringverdienende.
Heute gibt es immer noch viel zu viele „weiße Flecken“ bei der betrieblichen Mitbestimmung. Laut IAB bewegt sich der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat seit einigen Jahren bundesweit bei neun Prozent. Nur 40 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 33 Prozent in Ostdeutschland werden 2017 noch von einem Betriebsrat vertreten. Häufig werden Betriebsratswahlen von Seiten der Arbeitgebenden verhindert und die Arbeit von Betriebsräten wird behindert. Daher gilt es, aktive Beschäftigte besser zu schützen und Betriebsratswahlen zu erleichtern. Die Mitbestimmung muss gestärkt werden.
Faire Löhne durch Equal Pay
Frauen verdienen noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen, und zwar allein deshalb, weil sie Frauen sind. Zurzeit beträgt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland 21 Prozent. Schlecht bezahlte Arbeit ist noch immer Frauensache. Die Entgeltdiskriminierung ist aber nicht allein ein Nischenproblem der klassischen „Frauenberufe“. Sie zieht sich quer durch alle Beschäftigungsfelder. Und das ist einfach nicht hinnehmbar, und schon gar nicht gerecht. Wir brauchen daher ein echtes Entgeltgleichheitsgesetz, um endlich gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit konsequent durchzusetzen.
Gleichzeitig brauchen wir Equal Pay in der Leiharbeit. Denn immer noch verdienen rund eine Million Leiharbeitskräfte im Schnitt deutlich weniger als die Stammbeschäftigten im gleichen Betrieb. Gerecht ist das nicht. Keine Frage, unsere Wirtschaft braucht Möglichkeiten, flexibel zu agieren. Betriebe benötigen manchmal sehr kurzfristig zusätzliches Personal, um Auftragsspitzen zu bewältigen. Doch Flexibilität muss ihren Preis haben. Notwendig ist deshalb gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag. Leiharbeitskräfte müssen genauso bezahlt werden, wie die Stammbelegschaft und zusätzlich noch einen Bonus erhalten, denn es wird von ihnen eine hohe Flexibilität verlangt. Nur das wäre gerecht.
Gerechte Löhne sind gut für unsere Gesellschaft
Wichtig für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist letztlich vor allem die Glaubwürdigkeit unserer Politik. Artikel eins unseres Grundgesetzes schreibt fest, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Wir brauchen deshalb eine „Normalisierung“ der Arbeitsverhältnisse in unserem Land. Jegliche Erwerbsarbeit hat ihren Wert und muss fair entlohnt werden. Wenn Menschen von der eigenen Arbeit leben können, ohne auf Transferleistungen angewiesen zu sein, so bedeutet das ein großes Stück Würde und Gerechtigkeit. Arbeit muss zum Leben reichen. Das sollte wieder zur Regel werden. Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Um unsere Gesellschaft gerechter und lebenswerter zu machen, brauchen wir eine nachhaltige Arbeitswelt, von der die Menschen profitieren und die auch nachfolgende Generationen im Blick hat. Die soziale Ungleichheit, die durch hohe Einkommensunterschiede zustande kommt, lässt sich auch nicht einfach durch mehr Bildung bekämpfen. Auch wenn das viele gern behaupten. Denn die einfache Gleichung, Bildung sichert einen guten Job und damit Einkommen, geht heute längst nicht mehr auf. Wer mehr Geld in Bildung investiert und gleichzeitig die Beschäftigungsmöglichkeiten prekär lässt, sorgt daher nicht für ein Ende der Ungleichheit. Das funktioniert nur mit mehr Solidarität und mehr echten Zusammenhalt. Deshalb brauchen wir eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, und die bekommen wir nur, wenn wir die Tarifpartnerschaft politisch stärken.
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